Sinusstudien, Kirche, Internet - eine Zusammenfassung

Wieder mal eine Frage an mich, die ich gleich öffentlich beantworten möchte. Herr Friedrich Fischer, der sehr engagiert die Facebook-Seite für die Pfarre Aschach an der Donau betreut, hat mich gefragt, ob es etwas zum Thema Sinus-Studien, Kirche und Social Media gibt. Ja, dem ist so, da gibt es einiges. 

Wohnzimmer Das ist auch eines meiner persönlichen Lieblingsthemen, da ich der Meinung bin, dass die Sinus Studien vieles dazu beitragen, vorschnelle Schlüsse und vermeintliche Hoffnung auf schnelle Erfolge mittels Social Media in die Bahnen weisen und uns kirchlich Engagierte realistischer werden lassen. Auch das Internet ist kein "Zaubermittel" lange gewachsene Milieugrenzen zu durchbrechen. Wohl kann es aber, klug eingesetzt, einiges dazu beitragen, Schritte in die richtige Richtung einer Kirche für alle zu setzen. Ferdinand Kaineder hat am Barcamp Kirche 2.0 die Frage gestellt, warum denn relativ wenig kirchlich Engagierte ins Social Web einsteigen, wo es doch da so viele Chancen gibt. Ein Stück weit möchte ich diesen Beitrag auch als Antwortversuch darauf verstehen.

Im folgenden versuche ich die mir aktuell bekannten Informationen zum Thema zusammenzufassen. Es ist eine Art Werkstattbericht, denn ein Teil meiner geplanten Diplomarbeit in der Pastoraltheologie wird sich genau um dieses Thema drehen.

Was ist das, Sinus-Milieu-Studien?

Sinus-Milieus beschreiben die gesellschaftliche Segementierung nicht nur nach demografischen Daten wie Bildung und Alter, sondern fragen nach grundlegenden Einstellungen, Werten und Lebensstilen. Dabei werden Menschengruppen nach ihren Auffassungen und Lebensweisen gruppiert. Die ersten Sinusstudien sind im Marketing entstanden, es gibt sie in ganz unterschiedlichen Bereichen. Sinusmilieus sind eine mögliche hilfreiche Gesellschaftsbeschreibung, alles erklären sie aber wie alle Modelle auch nicht.

Sinus-Studien und Kirche

2006 erschien das Milieuhandbuch "Religiöse und kirchliche Orientierungen in den Sinus-Milieus 2005" und sorgte in der Kirche für einigen Wirbel, denn eine der Grundaussagen ist, dass die katholische Kirche nur noch in zwei bzw. drei Lebensstil-Milieus verankert ist. Es folgten im gesamten deutschsprachigen Raum Projekte und vertiefende Untersuchungen, die mit diesem Befund umzugehen suchten. Ein oft verwendetes Stichwort dafür ist "Lebensraumorientierte Seelsorge". Der Grazer Pastoraltheologie Rainer Bucher betont die positiven Seiten dieser Entwicklung:

Die Kirche hatte ihre Aufgabe unter den Bedingungen der spätantiken religionspluralen Gesellschaft ebenso zu erfüllen wie im feudalen Mittelalter, als sie ein Teil der gesellschaftlichen Macht war, und sogar der entscheidende. Und sie hat sie heute zu erfüllen, wo sie wieder entmachtet wurde und tatsächlich auf den (religiösen) Markt gekommen ist. Das braucht sie überhaupt nicht zu bedauern. Es steht sowieso nicht in ihrer Verfügungsgewalt, in welchem Kontext sie den Gott Jesu zu verkünden hat. Sie muss sich einfach darauf einstellen. Der Markt hat außerdem viele Vorteile für die Religion, vor allem beraubt er sie der selbstverständlichen Herrschaft über die Einzelnen und das tut ihr nur gut.

Der 2010 erschienene MDG-Trendmonitor „Religiöse Kommunikation 2010“ (nicht online verfügbar, kann als Printversion bestellt werden, Zusammenfassung beim Domradio.de) ist eine Aktualisierung der Studie für den Teilbereich der Kommunikation. Zentrales Ergebnis ist, dass vor allem Medien im Nahbereich wie die Pfarrblätter wirklich ankommen, in vielen Bereichen, gerade bei den umstrittenen kirchenpolitischen Themen Kommunikationslücken vor allem mit postmodernen Milieus vorhanden sind.

Slides zum Trendmonitor von Gabriele Eder-Cakl (Kommunikationsbüro der Diözese Linz) vom Barcamp Kirche 2.0 .

Sinus-Milieus und Internet

Der Austrian Internet Monitor (AIM) arbeitet auch mit den Sinus-Milieus. Ähnlich wie bei der deutschen sinusbasierten Untersuchung Stern Markenprofile 12 (2007) ist das Grundergebnis immer, dass vor allem postmoderne Milieus das Internet und vor allem Social Media nutzen. Digital Natives sind "Moderne Performer" und "Experimentalisten". Im 1. Quartal 2010 heisst es im AIM:

Soziale Netzwerke und interaktive Plattformen zählen zu den großen Gewinnern im Internet. Bei der Nutzung der einzelnen Plattformen zeigen sich deutlich die unterschiedlichen Interessen der Milieus. Speziell Moderne Performer und Hedonisten, aber auch Experimentalisten und Konsumorientierte weisen etwa eine überdurchschnittliche Nutzung von Facebook auf. Wikipedia hingegen wird besonders stark von Postmateriellen und Modernen Performern genutzt.

Hier findet aber einfach durch eine allgemein stärkere Verbreitung (2,2 Millionen ÖsterreicherInnen auf Facebook!) eine Verschiebung statt. Trotz ist die Tendenz, würde ich auch nach fast einem Jahr nach dieser Untersuchung mutmassen, noch immer eindeutig:

Sinus Facebook
Quelle: Integral Markt- und Meinungsforschung, Internetnutzung in Österreich nach Sinus-Milieus®. Austrian Internet Monitor-Consumer: neu mit Zielgruppen-Segmentierung, in: http://www.integral.co.at/downloads/Internet/2010/06/AIM-Consumer_Presse..., Seite 3

Sinus-Milieus, Kirche und Internet

Klaus Meier hat mit dem Beitrag Positionierung der katholischen Kirche im Internet (PDF) schon 2006 richtigungsweisend skizziert, wohin es anhand des Sinus-Befundes gehen kann. Manches davon ist durch die Weiterentwicklung und stärkere Verbreitung von Social Media zu relativieren, aber in den Grundzügen ist ihm meiner Meinung nach nach wie vor recht zu geben:

Internet-Aktivitäten, welche den kirchlichen Mainstream anpeilen, gehen am Internet-Publikum weitgehend vorbei. Vielmehr sollten Wünsche, Erwartungen und Themen kommuniziert werden, welche in modernen Milieus der Mittel- und Oberschicht anzutreffen sind. Im Wesentlichen müssen Berührungspunkte im Alltag moderner, multioptionaler Lebensstile gefunden werden.

Auch betont er partizipative Formate und die Wichtigkeit glaub-würdiger und authentischer Repräsentant_innen der katholischen Kirche im Web.

Der Befund des MDG-Trendmonitors näherhin zum Internet zeigt, dass eine Umsetzung noch nicht gelungen ist. Typisch "katholische" werden übers Internet kaum erreicht, so der Religionssoziologie Michael Ebertz (Wie kommunizieren die Katholiken?, in: Herder Korrepondenz 64 7/2010, 344 - 348).

Das Internet ist zwar zum Alltagsmedium der Bevölkerungsmehrheit, erst recht der jungen Generationen geworden und auch fur die religiöse Kommunikation im Kommen. Aber bei den jungen Katholiken ist diese religiöse Internetnutzung vom religiösen Interesse abhängig und damit wieder nur eingeschränkt geeignet, religiöse und kirchliche Themen in diese Bevölkerungskreise zu transportieren. Ein auffälliger Befund ist zudem: Mit Ausnahme der Hauptamtlichen in der Kirche sind die Katholiken, die sich für religiöse Frage interessieren, und die eng mit der Kirche Verbundenen(noch) kaum "User" des Internets. So zeigt sich auch in den Kommunikationswegen eine deutliche Milieuverengung.

Ja, das ist die Theorie - und die Praxis?

Die Sinus-Studien erklären für mich sehr gut, warum manche Schritte in Social Media oft mühsamer sind als vermeintlich angenommen. Die jetztigen Kerngruppen der Kirche sind auf Facebook, YouTube und Co. noch nicht mehrheitlich angekommen. Es braucht mit einem klaren Blick auf die Milieuspezifika sicherlich verstärkter die Entwicklung von thematisch ausgerichteten Projekten für die postmodernen ChristInnen im Social Web. Denn es ist auch nicht zu vergessen, dass die verschiedenen Milieus nicht unbedingt miteinander können, es Distinktionsgrenzen zwischen den Milieus gibt. Der Medientheologie und Mitautor der Studie "Kirche im Web 2.0" Jürgen Pelzer empfiehlt eine charismenorientiere Internetstrategie und meint damit, dass Menschen, die sowieso im Social Web aktiv sind, aktiv eingebunden und damit ermutigt werden sollten. Genau das würde ich auch raten: Findet die Digital Natives und unterstützt sie!

Interessant finde ich, dass im MDG-Trendmonitor festgestellt wird, dass kirchliche Kommunikationsmedien in sozialen Nahräumen die besten Chancen haben. Das sind aktuell primär die gedruckten Pfarrblätter, aber ich kann mir gut vorstellen, dass das immer mehr auch die Facebook-Seiten von Pfarren, gerade im ländlichen Raum, sein werden. Da gibt es einfach, weil Menschen sich kennen und weil ein Foto der Nachbarin beim Pfarrcafe getagged wird, ganz viele beziehungsstiftende Anknüpfungspunkte. Wenn daraus aber mehr werden soll, wird wohl aber sicher kein Weg daran vorbeiführen, nachzufragen, ob die aktuelle inhaltliche Ausrichtung der Arbeit vor Ort nicht auch oftmals auf wenige traditionelle Milieus fokussiert ist.

Und was meinst du? Alles viel zu kompliziert oder ist es schön, dass die Menschen auch im Internet so unterschiedlich sind?

Foto: CC mallobo