"Soviel kann ick jar nich fressen, wie ich kotzen möchte" sagte Max Liebermann angesichts von Nazi-Fackelzügen durch das Brandenburger Tor, vor dem ich letzte Woche gestanden bin, im Jahr 1933. Dieser Spruch geht mir seitdem nicht aus dem Sinn, auch wenn jeder Vergleich unangemessen ist. Immer wieder muss ich "Soviel kann ick jar nich fressen, wie ich kotzen möchte" denken, wenn mir der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in den Sinn kommt.
Viel ist dazu schon gesagt worden: Zu Recht wird Aufklärung, Transparenz, Hilfe für die Opfer und Prävention für die Zukunft gefordert. Zu Recht wird nach Strukturen gefragt, die Missbrauch und Gewalt begünstigen. Zu Recht wird die moralische Integrität einer Kirche in Frage gestellt, die zulässt, dass Kinder zu Opfern werden und TäterInnen ungeschoren davon kommen. Zu Recht wird aber auch darauf hingewiesen, dass ein einfacher Schluss vom Zölibat auf Kindesmissbrauch zu kurz greift. Zu Recht verweist die Kirche auch darauf, dass in den letzten 10, 15 Jahren Strukturen entwickelt wurden wie die Ombudsleute in den Diözesen, die Ansprechstellen für die Opfer sind und präventiv wirken sollen. Und, und, und ...
Und doch bin ich ratlos und sprachlos, wenn ich nicht schal klingende Formeln wiederholen will. Was soll ich sagen, wenn mich jemand fragt, was ich zu diesen Missbrauchsskandalen sage. Dass ich traurig bin, dass darüber all das Gute in der Kirche gar nicht mehr sichtbar ist? Dass ich glaube, dass es hier um Aufarbeitung der Vergangenheit geht und die Zukunft eine bessere sein wird? Dass es gut ist, dass jetzt endlich darüber geredet wird und öffentlich klar ist, wer hier Opfer und wer hier TäterIn ist und endlich sexueller Missbrauch nicht mehr mit dem "Mann hinterm Busch" sondern mit alltäglichen vertrauten Situationen der Kinder in der Familie und in Bildungs- und Jugendeinrichtungen identifiziert wird? Dass sich gerade die Katholische Frauenbewegung seit vielen Jahren gegen sexuellen Missbrauch stark macht? Ich weiss es nicht so recht. Ich weiss, dass das wittgensteinsche "wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen" genau die falsche Haltung wäre, aber es fällt mir nicht leicht überhaupt Worte zu finden.
"Soviel kann ick jar nich fressen, wie ich kotzen möchte" wird mir wohl noch eine Zeit lang im Kopf rum gehen. Ina Praetorius schreibt davon, dass der Karsamstag die Erinnerung daran ist, dass es in jedem Leben lähmende Zwischenzeiten gibt, die am liebsten schnell vergessen werden, wenn sie endlich vorbei sind. Der Karsamstag könnte der Tag der Erinnerung sein, "der Tag der Leute, die nicht wissen, ob sie an die Auferstehung glauben sollen und dennoch am Leben bleiben", der Tag "des Weiterlebens und Weitermachens ins Ungewisse hinein". Ja, dabei bleibe ich wohl jetzt mal.
Aktuelle Stellungsnahmen finden sich auf der Homepage der Diözese Linz und bei katholisch.at.
Ombudsleute und Diözesane Kommission Linz gegen Missbrauch und Gewalt.
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Maxi
andrea
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