"Wo kamat ma hi, waumma d'Leit frogat, wos s' woin, und net tat, wos richtig is!", soll seinerzeit Bundeskanzler Julius Raab einmal gesagt haben. Man kann so eine Haltung als arrogante Missachtung der politischen Kompetenz der einzelnen BürgerInnen anprangern. Man kann aber auch einen Funken Wahrheit in diesem Satz entdecken: Niemand - auch kein/e politische VerantwortungsträgerIn - darf sich einzig und allein nach Mehrheitsmeinungen richten. Aus unserer Geschichte wissen wir, dass sich auch Mehrheiten irren können.
Wenn ich an Diskussionen denke, die an manchen Wirtshaustischen geführt werden, möchte ich mir nicht vorstellen, wie Volksentscheide zum Umgang mit gesellschaftlichen Minderheiten wie Arbeitslosen, Drogenkranken, gleichgeschlechtlich orientierten Menschen, AsylwerberInnen usw. ausfallen würden.
In meinem Büro laufen derzeit die Fäden für die Vorbereitung der „Lichtblicke“ am 5. November 2010 zusammen: Mit einem meditativ-besinnlichen Spaziergang und einer Versammlung beim Lentos-Kunstmuseum wollen wir seitens der Katholischen Aktion an diesem Tag Politik und Gesellschaft zu verstärktem sozialen Zusammenhalt, Armutsbekämpfung, Menschwürde und Umweltschutz auffordern. Alle Menschen, denen diese Themen wichtig sind, sind eingeladen, durch ihre Teilnahme ein Zeichen für ein besseres Miteinander zu setzen.
Im Rahmen der Veranstaltung „Lichtblicke – Perspektiven für eine gerechte Gesellschaft“ werden die Diözesanvorsitzenden der Kath. Frauenbewegung, Männerbewegung und ArbeitnehmerInnenbewegung sowie die diözesanen Verantwortlichen der Kath. Jugend und Jungschar gemeinsame Forderungen in Bezug auf eine menschengerechte Wirtschaft, Chancengleichheit für Frauen und einen respektvollen Umgang mit Fremden zur Sprache bringen. Außerdem wird die Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit, der Einsatz für Kinderrechte und die Verantwortung gegenüber der Umwelt hervorgehoben.
In den vergangenen Monaten ist in Österreich der Ruf nach mehr Transparenz in Bezug auf soziale Transferleistungen laut geworden: Wer bekommt wie viel an finanzieller Unterstützung, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten? Gibt es Leute, die das Sozialsystem ausnützen und mehr Geld bekommen, als ihnen gesetzlich zusteht?
Auffallend ist, dass sich manche EntscheidungsträgerInnen in Politik und Wirtschaft nun in der ebenfalls öffentlich gewordenen Debatte um Steuerhinterziehung (in Deutschland) vornehm zurückhalten und beispielsweise von einer Lockerung „unseres“ Bankgeheimnisses zugunsten höherer Transparenz nichts wissen wollen. Wie passt das zusammen?
Ende November 2009 fand ein Einkehrtag der Katholischen Aktion Österreich statt, bei dem Altbischof Johann Weber u.a. an Papst Johannes XXIII erinnerte, der 1958 mit 77 Jahren zum Papst gewählt wurde und 1962 das II. Vatikanische Konzil einberufen hat.
Ein Zitat von Papst Johannes dem XXIII lautet: "Die Welt bewegt sich. Es ist notwendig, mit jugendlichem Herzen den richtigen Zugang zu ihr zu finden, und nicht die Zeit mit Gegendarstellungen zu verschwenden. Ich ziehe es vor, mit dem, der geht, Schritt zu halten, statt mich abzusondern und es zuzulassen, dass man an mir vorbeigeht." Darin besteht, wie ich meine, auch heute die große Herausforderung der Kirche.
„Österreich und Luxemburg haben den Abschluss eines wichtigen Abkommens der Europäischen Union mit Liechtenstein im Kampf gegen Steuerhinterziehung blockiert.“, habe ich heute auf der ORF-Homepage gelesen. Damit kommt auch wieder einmal das österreichische Bankgeheimnis in Diskussion. Zu diesem Thema herrscht ja landläufig die Meinung vor, es müsse unbedingt erhalten bleiben, um das zu schützen, was sich „der kleine Mann“ erspart hat. Die Tatsache, dass das Bankgeheimnis den BesitzerInnen kleiner Ersparnisse in Wirklichkeit gar keine Vorteile bringt, wird in der Diskussion ausgeklammert. Genauso wie verschwiegen wird, dass es möglich ist, mit Hilfe des Bankgeheimnisses große Vermögen zu verstecken, die in Österreich oder in anderen Ländern nicht gesetzlich versteuert wurden. Ich muss es wohl zur Kenntnis nehmen: Das Bankgeheimnis ist ein Tabu in unserem Land, keine Partei wagt es, laut über eine Abschaffung nachzudenken. Zufrieden bin ich damit nicht ...
Die zweite Volksabstimmung in Irland über den so genannten Lissabon-Vertrag, bei der eine deutliche Mehrheit (67,1%) für das EU-Reformwerk stimmte, hat die Zusammenarbeit in der Europäischen Union wieder einmal zu einem öffentlichen Thema gemacht. Viele freuen sich über das Ergebnis des Referendums, manche klagen darüber. Ich gehöre zu denen, die die Bedeutung der europäischen Einigung für die künftigen Herausforderungen auf unserem Kontinent hoch einschätzen.
Auch wenn ich manche Kritikpunkte von GegnerInnen nachvollziehen kann, so sehe ich dennoch mehr Vorteile im EU-Reformvertrag. Und eines ist auch klar: Ohne Kompromisse wäre es sicher nie gelungen, dass sich 27 Nationalstaaten sich auf eine gemeinsame Grundlage verständigen!
Mein Eindruck ist, dass der EU-Reformvertrag die Demokratie und den Grundrechtsschutz stärkt, insbesondere durch den Ausbau der Rolle des Europäischen Parlaments und die vorgesehene direkte Einbindung der nationalen Parlamente am europäischen Gesetzgebungsprozess. Einen Meilenstein in der europäischen Geschichte sehe ich weiters in der Tatsache, dass mit dem europäischen Volksbegehren erstmals ein Element der direkten Demokratie auf europäischer Ebene eingeführt wird.
Mir gefällt auch die ausdrückliche Betonung der Sozialpartnerschaft in ihrer Funktion an der Schnittstelle zwischen europäischer Politik und Zivilgesellschaft sowie die Klarstellung, dass öffentliche Dienstleistungen - unabhängig von wirtschaftlichem Interesse - in die Zuständigkeit der nationalen bzw. regionalen oder lokalen Behörden fallen. Deshalb kann ich auch die von einigen wenigen Seiten geäußerte Befürchtung vor einem "Europäischen Superstaat" nicht teilen, weil die Selbstverwaltung der Regionen und der Gemeinden im Vertrag ausdrücklich anerkannt wird.