Wo war Gott in Haiti?

Wie kann ein guter Gott so etwas zulassen? Angesichts der Bilder aus Haiti stellt sich diese Frage zu Recht. Warum trifft es immer die Ärmsten? Warum verschwindet das Thema nach einigen Wochen Sensationsberichten in den Medien dann wieder in der Versenkung? Was ist das für ein Gott, der selbst die, die aus dem Schutt gerettet wurden, danach verdursten und verhungern lässt?

Neu ist diese Frage keineswegs. Der Fachbegriff in der Theologie dafür ist Theodizee: Wie können wir an einen guten, allmächtigen Gott glauben, wenn doch soviel Schlechtes, soviel unschuldiges Leid in dieser Welt ist? Entstanden ist diese Frage in aller Deutlichkeit in der Zeit der Aufklärung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das Erdbeben von Lissabon 1755, bei dem hunderttausende Menschen ums Leben kamen, war der Auslöser einer intensiven philosophischen (Voltaire, Kant) und literarischen (Voltaire, Goethe, Kleist) Aufarbeitung. Theodor W. Adorno bezeichnet dieses Erdbeben als ähnlich epocheprägend für die Geistesgeschichte wie den Holocaust - denn damit war erstmals die Selbstverständlichkeit an einen guten, allmächtigen Gott zu glauben breit in Frage gestellt und damit die Grundlage geschaffen, skeptisch nachzufragen, ob es diesen Gott überhaupt gibt. Immanuel Kant kam wenig später zu Einsicht, dass wir Gott mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht beweisen können, sondern nur postulieren, heute würde man/frau sagen, wir können nur an Gott glauben. Kant braucht dieses Postulat Gottes für seine Ethik, denn warum soll jemand das Gute tun, wenn Gutes-Tun in unserer Welt ganz oft dazu führt, dass es uns selbst nicht gut geht. Später wird auch diese Argumentation fraglich, heute braucht die Ethik keine Absicherung mehr über ein Gottespostulat.

Geblieben ist - für manche - das Glauben an Gott, nicht das Wissen. Das heisst aber noch lange nicht, dass es deswegen unvernünftig ist, an Gott zu glauben. Vielmehr stellt sich die Frage - und diese umso radikaler beim Gedanken an Haiti - was denn damit gemeint ist, wenn wir "Gott" sagen und gleichzeitig vom Leichengeruch aus dem Trümmern hören.

Für mich ist "Gott" ein Tun-Wort. Wenn ich sage, dass ich an Gott glaube, kann das nicht einfach so stehen bleiben, sondern es ist mir ein Auftrag für ein solidarisches Leben, im Kleinen wie auch im Grossen. Die Theodizee-Frage bleibt offen - aber wenn ich Gott denke als Mitgehenden mit uns Menschen in unserem Tun, so ist er vielleicht gar nicht so allmächtig wie das traditionelle Bild des alten Mannes mit Bart, sondern nur so mächtig, wie wir Gott durch unser Handeln machen.

Und doch bleibt die Frage nach der Naturkatastrophe. Dass aber Haiti schon lange ein Land mit chaotischen Zuständen und fehlender Infrastruktur ist, ist Ausdruck davon, dass es Spielball von Machtinteressen war und ist. Der bekannte Liedermacher Konstantin Wecker nennt es "Das Beben unserer Zeit". Das ist menschengemacht - und Gott dafür die Schuld zu geben, ist billige Polemik. Und es ist auch menschengemacht, wie jetzt nach dem Erdbeben geholfen wird - oder ob alles so weitergeht wie gehabt. 

Update: Wo war Gott in Haiti? auf Citykirche Schweinfurt

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Wo war Gott in Haiti? - mein Blogeintrag

Unter dem exakt gleichen Titel habe ich heute auch gebloggt. Ihr findet meinen Blogeintrag unter "Homepage"-Link.

Gleicher Titel

Wir haben offenbar ähnliche Gedankengänge. Habe den Beitrag oben gleich verlinkt.

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